Wusstest du, dass wir mehr Bakterien beherbergen als menschliche Zellen? Je nach Schätzung beläuft sich das Verhältnis auf bis zu 10:1 zugunsten der Kleinstlebewesen. Demnach sind es rund 2–3 kg Keime, die ein Erwachsener mit sich rumschleppt. Und der Großteil dieser unserer besseren (und größeren) Hälfte tummelt sich in unserem Verdauungstrakt – in Summe nennen wir sie Darmflora.
In diesem Beitrag möchte ich dir auf nachvollziehbare Weise erklären, was es mit unserer Darmflora auf sich hat. Schließlich begegnet einem der Begriff in unzähligen Artikeln, Berichten, Verpackungen und sonst wo. Doch immer wieder bekommen wir Fragen, wenn wir das Thema z.B. auf Instagram anschneiden, sodass es jetzt Zeit für einen Artikel über unsere Darmbewohner ist.
Bakterien: Unsere bessere (und größere) Hälfte
Wie eingangs geschrieben, bestehen wir aus mehr Bakterien als menschlichen Zellen. Doch das wichtige Wort in der Einleitung war »Schätzung«, denn so genau wissen können wir es (noch) nicht. Die Zahlen beruhen vielmehr auf Schätzungen, die kluge Wissenschaftler aufstellten und nachvollziehbar begründeten. Ob es nun wirklich 10 Mal so viele Bakterien wie Humanzellen in und auf uns gibt, ist strittig.
Einer aktuellen Arbeit von Ron Milo, Ron Sender und Shai Fuchs, die in den Nature News zitiert wurde, zufolge beläuft sich das Verhältnis auf 1,3:1 zugunsten der Bakterien. [1] Immerhin noch ein leichtes Übergewicht zugunsten unserer kleinen Freunde. Wie dem auch sei, sind wir das Paradebeispiel für die perfekte »Symbiose zweier Ökosysteme«, wie es Alessio Fasano in seinem Vortrag »The Gut Is Not Like Las Vegas: What Happens in the Gut Does Not Stay in the Gut« formuliert. Zumindest so lange, wie wir unsere bessere Hälfte nicht aus dem Gleichgewicht bringen.
Was haben Bakterien in und auf uns zu suchen?
Das fragst du dich vielleicht, denn ständig hört man, wie wichtig doch antibakterielle Seifen seien und überhaupt: Jeder von uns hat doch schon Antibiotika genommen – also ein Mittel, das Bakterien abtötet. Nicht falsch verstehen: Antibiotika haben ihre Berechtigung. Und ohne sie würden wir sicherlich häufiger über frühe Kindstode und andere schreckliche Verluste klagen, die wir heute ganz gut um Griff haben.
Doch es ist erschreckend, wie viele Menschen in meinem direkten Umfeld beim kleinsten Wehwehchen eine Antibiotika-Kur machen – und im Anschluss keinen Gedanken daran verschwenden, die Darmflora wieder auf Vordermann zu bringen.
Die Darmflora verstehen
Funktionen der Darmflora
Spätestens seit diverse Joghurt-Hersteller uns via Werbung klarmachen, wie wichtig unsere Darmflora ist, weiß jeder, dass sie essenziell für uns ist. Doch was macht sie eigentlich genau?
Die wichtigsten Funktionen der Darmflora sind:
- Schutz vor unliebsamen Mikroorganismen
- Entwicklung und Aufbau des Immunsystems bei Säuglingen
- Barrierefunktion zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Darm
- Bildung von Vitaminen (Biotin, B121, Vitamin K)
- Energiebereitstellung für die Zellen der Darmwand
Die Darmflora aus dem Gleichgewicht
Durch übermäßigen Gebrauch von Antibiotika (ohne die anschließende »Pflege« der Darmflora), kommen unsere Darmbewohner gerne aus dem Konzept. Denn Antibiotika bekämpfen bekanntlich nicht bloß punktuell, sondern großflächig. Vergleichen kann man das Ganze damit, mit einer Schrotflinte auf die Jagd nach einer Fliege zu gehen. Die Fliege wird zwar wahrscheinlich getroffen, aber auch alles Umliegende.
Neusten Forschungen zufolge spielt eine gestörte Darmflora wahrscheinlich eine Rolle bei der Entstehung von Übergewicht, Diabetes und Arteriosklerose. Beim Übergewicht ist es so, dass Forscher herausgefunden haben, dass Übergewichtige mehr Bakterien des Typs Firmicuntes und weniger Bacteroidetes ins sich tragen, als Schlanke. [2] Es wird auch vermutet, dass die Artenvielfalt wichtig für die Funktion der Darmflora ist. So vermuten Forscher, dass eine große Artenvielfalt aus gesundheitlicher Sicht günstiger ist, als eine geringe.
Doch nicht nur Essgewohnheiten, Lebensstil und Antibiotika sorgen für Veränderungen der Darmflora. Auch über den Stuhl scheiden wir tagtäglich Bakterien aus. Und zwar lassen sich über 400 verschiedene Bakterienspezies im Kot eines einzelnen Menschen feststellen. [3] Vierhundert Spezies! Ganz zu schweigen von der totalen Anzahl.
Faktoren, die die Zusammensetzung der Darmflora beeinflussen
Wir kommen nicht nur nackt, sondern auch ohne Darmflora auf die Welt. Unser Darm ist bei der Geburt steril und somit ist es keine Überraschung, dass sowohl die Art der Geburt, als auch die Fütterung des Säuglings unmittelbaren Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmflora haben.
Im besten Falle gibt die Mutter schon während der Geburt einen Teil ihrer eigenen Bakterien an das Kind weiter. Das funktioniert allerdings nur bei einer vaginalen Geburt, da das Neugeborene dabei die Möglichkeit hat, mit Vagina und Analkanal in Kontakt zu kommen. So hat man herausgefunden, dass Kinder, die per Kaiserschnitt auf die Welt kamen, deutlich weniger Milchsäure bildende Bakterien im Darm aufwiesen, als vaginal geborene Kinder. [4]
Auch das Stillen scheint eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer intakten Darmflora im kleinen Babybauch zu spielen. So fördert es nicht nur die Bindung zwischen Mutter und Kind, sondern auch die Besiedlung mit guten Darmbakterien. Die Ergebnisse der niederländischen Geburt-Kohortenstudie KOALA deuten zudem darauf hin, dass die Kombination aus Hausgeburt und anschließender Fütterung mit Muttermilch die besten Voraussetzungen für eine günstige Zusammensetzung der Darmflora im Kindesalter aufweist. [5] Ungünstig auf die kindliche Darmflora würden sich zudem Frühgeburten, lange Krankenhausaufenthalte, Antibiotikatherapien und künstliche (parenterale) Ernährung auswirken. [6]
Du siehst: Die ersten Stunden und Monaten haben beträchtlichen Einfluss auf unsere Darmbakterien. Doch auch danach ist nicht aller Tage Abend.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Zeitstrahls des Lebens, gibt es auch deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmflora.
Im Rahmen der ELDERMET-Studie fanden Forscher heraus, dass die Darmflora von alten Menschen, die im Heim leben, signifikant weniger divers ist als die von Menschen, die auch im Alter in Gemeinden leben und somit ihre Essgewohnheiten weitgehend beibehalten. [7] Doch warum ist das so? Die Ernährung der Menschen in Langzeitheimen zeichnet sich unter anderem durch einen niedrigeren Ballaststoffanteil aus. Nicht nur der Wohnort ändert sich somit, sondern auch die Qualität der Nahrung nimmt ab. Bei den Gemeindebewohnern fanden die Forscher einen höheren Ballaststoffanteil, eine größere Vielfalt der Darmflora und im Allgemeinen einen besseren Gesundheitszustand.
In den ersten Monaten unseres Lebens ändert sich die Darmflora. In den letzten Monaten und Jahren auch. Und dazwischen folglich ebenfalls. Wir haben es selbst in der Hand, wie sich unsere Darmflora entwickelt, denn ihre Zusammensetzung wird zwar weitgehend in den ersten Monaten festgelegt, der Rest hängt jedoch maßgeblich von dem ab, was wir oben reinschieben.
Futter bei die Darmbakterien
Die meisten Bakterien, die wir beherbergen, sind nicht grundlos im Darm. Die Evolution hat sie gelehrt, dass es dort ein leichtes ist, an Nahrung zu kommen. Und so sitzen sie dort rum und ernähren sich von dem, was wir essen – genauer gesagt, den Resten davon.
Ballaststoffe sind ein Schlagwort, das heutzutage wirklich jeder kennt. Meist meinen wir damit unverdauliche Kohlenhydrate wie Pektin und Hemizellulose. Diese werden von den Darmbakterien im Dickdarm zersetzt, wobei Gase entstehen, die wir alle als Blähungen kennen. Neben den unverdaulichen Polysacchariden werden auch Einfach- und Zweifachzucker, Stärke und körpereigene Polysaccharide im Dickdarm fermentiert. Die daraus entstehenden kurzzeitigen Fettsäuren liefern dann wiederum den Zellen des Dickdarms Energie – eine perfekte Symbiose!
Was du für eine gesunde Darmflora tun kannst
Man muss kein Ernährungswissenschaftler sein, um an dieser Stelle des Artikels die Wichtigkeit der Ernährung in Bezug auf unsere Mitbewohner zu erkennen. Die Darmbakterien sind darauf angewiesen – ja, sie verlassen sich auf uns –, dass wir sie füttern. Und zwar nicht mit Weißbrot und Softdrinks (die enthalten ja nichts, was sie gerne mögen), sondern mit ballaststoffreicher und möglichst abwechslungsreicher Kost.
Epidemiologische Studien (Achtung: Hier werden nur Korrelationen gezeigt, keine Kausalitäten) zeigen, dass Vegetarier und Veganer eine andere Zusammensetzung der Darmflora aufweisen als Mischköstler. Diese wird mit gesundheitlichen Vorzügen in Verbindung gebracht, die allerdings nicht einwandfrei belegt sind und auch in absehbarer Zukunft nicht belegt werden können (aufgrund der limitierenden Studiendesigns).
Probiotika und Präbiotika
Was allerdings unstrittig ist: Die Zufuhr von Präbiotika ist mindestens genauso wichtig wie die von Probiotika.
Präbiotika sind die Nahrung der Darmbakterien. Probiotika sind lebende Keime.
Pärbiotika (fermentierbare Kohlenhydrate) findest du vor allem in:
- Obst
- Gemüse
- Vollkornprodukten
- Nüssen
- Samen
Probiotika findest du vor allem in (sofern nicht erhitzt):
- Sauerkraut*
- Kimchi*
- Kombucha
- Joghurt
- Nattō
- Miso Paste
*Rezepte dafür (und noch einige mehr) findest du in meinem Buch »Das Pups-Tabu«.
Neben Pro- und Präbiotika tust du deiner Darmgesundheit auch mit 4 allgemeingültigen Empfehlungen einen Gefallen:
- Stress meiden (war bei mir eine der Hauptursachen für die Beschwerden)
- regelmäßige Bewegung
- ausreichend Schlaf (es gibt Studien, die den Zusammenhang von Schlafstörungen und Irritable Bowel Syndrome bzw. Reizdarm zeigen2)
- Übergewicht vermeiden
Was ist mit Probiotika-Präparaten?
Es gibt eine Vielzahl guter Präparate auf dem Markt und doch empfehle ich keines. Zumindest nicht einfach so, ohne deine speziellen Bedürfnisse zu kennen – oder vielmehr: ohne die Bedürfnisse deiner Darmflora zu kennen. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass »blindes« Supplementieren, ohne zu wissen, in welchem Zustand deine Darmflora sich befindet, auch nach hinten losgehen kann.
Je mehr ich mich mit diesem komplexen Thema befasse, desto weniger möchte ich pauschale Empfehlungen aussprechen. Es gibt sicherlich Präparate, mit denen du fast nichts falsch machen kannst – aber eben nur fast. Im harmlosesten Falle gibst du einfach nur unnötig viel Geld für ein Mittel aus, das dir nichts bringt. Die Gründe dafür können sein:
- Das Probiotikum ist schlichtweg von schlechter Qualität und die Kulturen sind längst tot, sobald du die Verpackung aufmachst.
- Das Präparat ist so dosiert bzw. zusammengesetzt, dass der Durchschnittsmensch keine Nebenwirkungen befürchten muss.
Im ungünstigsten Fall nimmst du jedoch Arten zu dir, die du in dem Maß gar nicht brauchst und bringst dadurch deine Darmbakterien aus dem Gleichgewicht. Das wiederum kann, wie oben besprochen, unschöne Folgen haben.
Mein Tipp: Gibt es keine klare Indikation für den Gebrauch bestimmter Mittel (z.B. nach Antibiotika-Therapie etc.), versuche es erstmal mit natürlichen Maßnahmen. Die sind nicht nur – gewissenhafte Umsetzung vorausgesetzt – effektiv, sondern auch kostenlos. Willst du dennoch ein Probiotikum einnehmen, lass vorher deine Darmflora untersuchen und feststellen, welche (bekannten) Bakterienstämme ggf. zu kurz gekommen sind.
Du siehst, die Darmflora ist ein komplexer Zusammenschluss aus Millionen Kleinstlebewesen, die auf uns angewiesen sind – und wir auf sie. Die Forschung in diesem Bereich steckt noch in den Kinderschuhen und wir wissen so gut wie nichts darüber. Die wenigen Dinge, die bekannt sind, habe ich versucht, möglichst kompakt zusammenzufassen. Außerdem hast du gelesen, welchen Einfluss die Ernährung (insbesondere Präbiotika und Probiotika) auf die Darmbakterien hat und ich hoffe, du weißt jetzt ein bisschen mehr über unsere bessere (und größere) Hälfte.
Wenn dir der Beitrag gefallen hat, du eine Frage hast oder etwas ergänzen willst, freue ich mich auf deinen Kommentar!
Bis bald
Jan
Quellen
[1] Abbott, A. (08. Januar 2016). Scientists bust myth that our bodies have more bacteria than human cells. Nature News. Abgerufen von https://www.nature.com/news/scientists-bust-myth-that-our-bodies-have-more-bacteria-than-human-cells-1.19136[2] Gérard, P. (2016). Gut microbiota and obesity. Cellular and Molecular Life Sciences, 73 (1), 147–162.
[3] Elmadfa, I., Leitzmann, C. (2015). Ernährung des Menschen. Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer.
[4] Collins, M. D., & Gibson, G. R. (1999). Probiotics, prebiotics, and synbiotics: approaches for modulating the microbial ecology of the gut. The American Journal of Clinical Nutrition, 69 (5), 1052s–1057s.
[5] Penders, J., Thijs, C., Vink, C., Stelma, F. F., Snijders, B., Kummeling, I., … Stobberingh, E. E. (2006). Factors influencing the composition of the intestinal microbiota in early infancy. Pediatrics, 118 (2), 511–521.
[6] Fanaro, S., Chierici, R., Guerrini, P., & Vigi, V. (2003). Intestinal microflora in early infancy: composition and development. Acta Paediatrica, 92 (s441), 48–55.
[7] Claesson, M. J., Jeffery, I. B., Conde, S., Power, S. E., O’Connor, E. M., Cusack, S., … Fitzgerald, G. F. (2012). Gut microbiota composition correlates with diet and health in the elderly.Nature, 488 (7410), 178–184.
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Jennifer Hardt
Gut geschrieben 🙂
Einzig der Zusammenhang zwischen darmflora und Psyche hat mir persönlich gefehlt.
LG Jenny 🙂
Jan Rein
Danke Jenny! Du hast recht, das ist zu kurz gekommen (hab es versucht, mit dem Verweis auf Stessminimierung anzudeuten). Aber ich kann den Beitrag ja in Zukunft noch erweitern 🙂
Liebe Grüße
Jan
Pauline
Ich finde es immer wieder erstaunlich wie ihr genau über die Themen berichtet, die mich total interessieren und gerade beschäftigen 😀
Das Buch Darm mit Charme kann ich da sehr gut empfehlen und danke für die super Tipps wie man seinem Darm ein wenig auf die Sprünge bringen kann 🙂
Liebe Grüße
Pauline <3
http://www.mind-wanderer.com
Jan Rein
Liebe Pauline,
schön, dass wir auch hiermit deinen Nerv getroffen haben und Danke für deinen Buchtipp – das Buch von Giulia Enders ist wirklich super!
Viele Grüße
Jan
Gabi
Hallo Jan, ich finde eure Themen super undeutlich interessant.
Gehe immer wieder gerne auf eure Seite 🙂
Über was ich mich freuen würde, wenn du mal einen Artikel verfasst über Psyche und Darm. In wie weit eine Korrelation von Depressionen, Ängste, Panikattacken und den Darm besteht.
Vg
Jan Rein
Liebe Gabi,
vielen Dank für deinen Kommentar! Ich habe sogar schon eine Podcast-Episode dazu aufgenommen. Die findest du hier: http://janrein.de/gut-verdaut-podcast-verdauung/
Dort kannst du dir einfach Episode 3 anhören (oder bei iTunes: http://apple.co/2gFbz25). In meinem Buch »Das Pups-Tabu« habe ich noch einiges mehr über den Zusammenhang, falls du dich noch weiter damit beschäftigen möchtest.
Liebe Grüße
Jan