Die Zöliakie zählt zu den Autoimmunerkrankungen und gesellt sich somit zu Diabtes mellitus Typ 1, der Schilddrüsenerkrankung Hashimoto Thyreoiditis und einigen mehr. Umgangssprachlich wird oft von einer Gluten-Unverträglichkeit gesprochen. Was sich dahinter verbirgt, wird in diesem Artikel besprochen.
Definition und Hintergrund
Zöliakie ist eine immunvermittelte, systemische Erkrankung. Das bedeutet, dass die körpereigene Abwehr aktiviert wird und sich die Krankheit auf den gesamten Körper auswirkt. Ausgelöst wird sie durch die Aufnahme von Gluten, dem Klebereiweiß in Weizen, sowie verwandten Eiweißen anderer Getreide.
Genetische Einflussfaktoren
Betroffene Personen weisen in der Regel eine genetische Anfälligkeit für Zöliakie auf. Die mit Zöliakie verknüpften Gene gehören zum sogenannten Haupthistokompatibilitätskomplex (major histocompatibility complex, kurz MHC) Klasse II und befinden sich auf Chromosom 6. Diese Gene führen zum Aufbau der HLA-(human leukocyte antigen)Moleküle DQ2 und DQ8. Sie bestehen aus zwei Ketten, einer α- und einer β-Kette, und werden deswegen Heterodimere genannt.
Ungefähr 30 bis 50 % der Bevölkerung sind Träger von HLA-DQ2 und HLA-DQ8, doch nicht jeder entwickelt eine Zöliakie. Obwohl die Moleküle als Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung einer Zöliakie gelten, werden sie für diese zwar als notwendig, aber nicht als ausreichend angesehen. Tatsächlich tragen die HLA-Gene nur zu etwa 35 bis 40 % zur genetischen Anfälligkeit bei, den Rest machen Nicht-HLA-Gene aus, die noch nicht vollständig aufgeklärt sind.
Beschwerden und Symptome
Zöliakie kann in verschiedenen Formen auftreten, weswegen die Diagnosestellung häufig schwierig ist und lange dauert. Am häufigsten werden heute die klassische und symptomatische Form der Zöliakie erkannt. Neben typischen (klassischen) Beschwerden im Bereich des Magen-Darm-Trakts wie Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfung und Erbrechen, kann es aber auch zu anderen Symptomen kommen, die schwierig einzuordnen sind.
Zu ihnen zählen Haarverlust, Hautausschlag, Verzögerung des Wachstums und der Pubertät bei Kindern und Jugendlichen sowie Depressionen und Unfruchtbarkeit und viele mehr. Meist unentdeckt bleiben die subklinische und die potenzielle Form der Erkrankung, wodurch es zu einer hohen Dunkelziffer der Zöliakie-Fälle kommt.
Mechanismus und Pathogenese
Aber was genau passiert eigentlich mit dem Gluten in unserem Darm? Die Verdauungsenzyme in Magen und Darm können die Getreideproteine nicht vollständig abbauen. Das liegt an bestimmten Strukturmustern der Peptidketten, die sich nicht spalten lassen. So kommt es zu langen Peptidketten, die ungespalten im Dünndarm bleiben und schließlich über die Darmwand in das darunter liegende Gewebe aufgenommen werden.
Immunsystem
Zellen des Immunsystems, sogenannte antigenpräsentierende Zellen, die im Gewebe sitzen, fangen Glutenpeptide ab und nehmen sie in sich auf. Sie sind in der Lage die Glutenpeptide in kleinere Fragmente abzubauen. Die oben genannten HLA-DQ Moleküle sitzen außen auf den Immunzellen und binden die Fragmente der Glutenpeptide, sodass sie anderen Zellen präsentiert werden können.
Erkennen B- und T-Zellen des Immunsystems diese Fragmente und werden durch sie aktiviert, kommt es zu einer Immunreaktion. In ihrem Verlauf werden spezielle Antikörper gebildet und die Schleimhaut des Dünndarms beschädigt. Diese Schädigungen können so weit gehen, dass nur noch sehr ungenügend Nährstoffe aus der Nahrung aufgenommen werden können. Betroffene leiden dann an Nährstoffmangel, woraus sich weitere Risiken für andere Erkrankungen ergeben können, wie z.B. Osteoporose.
Diagnose
Wenn Brot, Gebäck, Müsli und Co. Beschwerden auslösen, beginnen viele Verzicht zu üben und auf Alternativen auszuweichen. Das ist verständlich, bringt jedoch ein Problem mit sich: Bei glutenfreier Diät verschwinden die Antikörper aus dem Blut und können nicht mehr nachgewiesen werden. Alle Formen der Zöliakie lassen sich durch spezielle Antikörper im Blut nachweisen, daher ist ein Test auf diese wichtiger Bestandteil der Diagnosestellung.
Nachweis der Zöliakie
Damit dieser Nachweis funktioniert, muss der Betroffene aber weiterhin Gluten aufnehmen. Grundsätzlich sollte immer mit dem behandelnden Arzt abgeklärt werden, ob der Verzicht auf ein bestimmtes Lebensmittel oder eine Lebensmittelgruppe sinnvoll und notwendig ist. Unnötige Einschränkungen in der Lebensmittelauswahl können außerdem zu einem unausgewogenen und gestörten Ernährungsverhalten führen.
Ein positiver Antikörpernachweis allein wird nicht als ausreichend für eine sichere Diagnosestellung angesehen. In der Regel schließt sich eine histologische Untersuchung an, eine Dünndarmbiopsie, während der an mehreren bestimmten Stellen des Dünndarms kleine Gewebeproben genommen werden. Das gewonnene Biopsiematerial wird auf zöliakietypische Schädigungen untersucht.
Weisen die Schädigungen einen bestimmten Schweregrad auf, so wird auch der histologische Nachweis als positiv angesehen. Gegebenenfalls wird zusätzlich eine HLA-Typisierung durchgeführt, um abzuklären, ob HLA-DQ2 oder HLA-DQ8 Moleküle vorliegen. Wenn zudem ein Verzicht auf glutenhaltige Produkte zum Verschwinden der Beschwerden und Symptome führt, kann von einer vorliegenden Zöliakie ausgegangen werden.
Bei Kindern kann unter bestimmten Umständen zur Diagnosestellung auch auf eine absichernde Dünndarmbiopsie verzichtet werden.
Zöliakie – und jetzt?
Zöliakie gilt als gut behandelbare Erkrankung mit positiver Prognose bei Einhaltung der Therapie. Die bisher einzige empfohlene Therapiemethode ist eine lebenslange und strikt glutenfreie Ernährungsweise. Diese basiert hauptsächlich auf dem Verzicht glutenhaltiger Getreide und Getreideprodukte, zu denen unter anderem alle Weizenarten zählen, auch Gerste und Roggen. Verzehrt werden dürfen glutenfreie Getreidearten und Mehlpflanzen, wie etwa Hirse, Reis, Kartoffel und Buchweizen.
Ziel der glutenfreien Diät
Das Ziel der glutenfreien Diät ist zum einen die Besserung der Symptome und Beschwerden bis zum vollständigen Verschwinden dieser. Zum anderen soll das Risiko für Langzeitkomplikationen verringert und die Lebensqualität gesteigert werden. Eine Erholung und Normalisierung der Dünndarmschleimhaut kann individuell verschieden sein und mehrere Jahre dauern.
Eine besondere Stellung in der glutenfreien Diät nimmt der Hafer ein. Obwohl er unter die glutenhaltigen Getreide fällt, werden sortenreine Haferprodukte ohne Glutenkontamination von den meisten Zöliakie-Patienten gut vertragen. Dabei ist es wichtig, dass bestimmte Hafersorten verwendet werden, die wenige bis keine glutenähnlichen Proteinmuster enthalten. Bei dem Wunsch Hafer in die Ernährung zu integrieren, sollten Zöliakie-Patienten Rücksprache mit ihrem behandelnden Arzt halten.
Nährstoffmangel durch Zöliakie
Die meisten unter glutenfreier Diät beschwerdefreien Zöliakie-Patienten tolerieren am Tag maximal 10 Milligramm Gluten, das entspricht etwa zehn Brotkrümeln und zeigt, wie wichtig die Vermeidung von Diätfehlern ist. Da die Einhaltung einer glutenfreien Diät für Betroffene besonders zu Beginn eine große Herausforderung darstellt, sollte nach der Diagnosestellung eine umfassende Ernährungsberatung durch eine kompetente Ernährungsfachkraft erfolgen.
Aufgrund des häufig auftretenden Nährstoffmangels dient diese auch dem Aufbau und der Erlernung einer ausgewogenen und nährstoffreichen Ernährungsweise. Weiterhin kann eine psychologische Unterstützung Betroffenen zu Akzeptanz und Einhaltung der glutenfreien Diät verhelfen.
Glutenfreie Produkte
In den vergangenen Jahren haben als „glutenfrei“ deklarierte Produkte die Regale in fast jedem Supermarkt erobert. Die Auswahl an glutenfreien Ersatzprodukten ist groß. Laut Codex Alimentarius werden Lebensmittel als glutenfrei definiert, wenn sie weniger als 20 Milligramm Gluten pro Kilogramm enthalten.
Verglichen mit normalen Produkten weisen glutenfreie Alternativen aber oft einen höheren Gehalt an Fett, Zucker und Salz auf, während der Gehalt an Ballaststoffen niedriger ausfällt. Zudem liegen sie preislich höher. Für gesunde Personen bieten glutenfreie Produkte keinen gesundheitlichen Mehrwert, der Trend hin zum Verzehr solcher Produkte entbehrt daher jeglicher Grundlage.
Abgrenzung zu anderen Krankheiten
Im Zusammenhang mit Weizen gibt es eine Reihe von Erkrankungen, die voneinander unterschieden werden müssen. Während es sich bei der Zöliakie um eine Autoimmunerkrankung handelt, zählt die Weizenallergie, ganz dem Namen nach, zu den Allergien. Sie kann weiter in verschiedene Formen untergliedert werden und ist keine Reaktion auf Gluten allein.
Weitere Bestandteile des Weizens werden hier als Auslöser gehandelt. Davon abzugrenzen ist die Nichtzöliakie-Nichtweizenallergie-Weizensensitivität, die weder eine Autoimmunerkrankung ist noch eine Allergie. Bei ihr handelt es sich um eine Reaktion auf Weizenbestandteile, die nichts mit Gluten zu tun haben.
Die Abgrenzung und Unterscheidung der verschiedenen Krankheiten kann in der Praxis bei Diagnosestellung recht kompliziert sein und einige Zeit in Anspruch nehmen.
Ohne Vorliegen einer dieser Erkrankungen besteht keine Notwendigkeit auf Weizen und andere Getreidearten aufgrund gesundheitlicher Aspekte zu verzichten. Vielmehr sollte die Vielfalt der Getreide genutzt werden für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung.
Quellen und weiterführende Literatur
Fry, L.; Madden, A.M.; Fallaize R. (2018): An investigation into the nutritional composition and cost of gluten-free versus regular food products in the UK. Journal of Human Nutrition and Dietetics, 31, 108-120
Husby, S. et al. (2012): European Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition Guidelines for the Diagnosis of Coeliac Disease. Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition, 54, 136-160
Ludvigsson, J.F. et al.(2013): The Oslo definitions for coeliac disease and related terms. Gut, 62, 43-52
Schuppan, D. (2016): Zöliakie. Pathogenese, Klinik, Epidemiologie, Diagnostik, Therapie. Bundesgesundheitsblatt, 59, 827-835
*Wir nutzen Affiliate-Links zu Amazon. Bei einem Kauf über diese Links kannst du unsere Arbeit ohne jegliche Mehrkosten unterstützen. Danke!
Schreibe einen Kommentar