Der letzte große Schritt der Ernährungsevolution heißt Supermarkt. Die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln aus aller Welt hat die menschliche Ernährung völlig verändert. Nun sind wir Zeugen der nächsten bedeutenden Veränderung unserer Ernährungsweise: Technologie und Künstliche Intelligenz. In diesem Artikel beschreibe ich einige mögliche Szenarien für Ernährung im Zeitalter der KI.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Menschen im Jahr 2100 noch so essen wie wir heute. Vermutlich wird es Supermärkte, wie wir sie kennen, nur noch in Virtuellen Dokumentationen, digitalen Rundgängen durch vergangene Zeiten, geben. Einen ersten Entwurf der nächsten Generation von Supermärkten hat Amazon in Seattle eröffnet. Der Supermarkt 2.0 kommt ohne Kassen aus, in Tech-Kreisen feiert man den nächsten Schritt in ein neues Zeitalter des Konsums und damit auch der Nahrungsbeschaffung.
Künstliche Intelligenz und Ernährung
Auch hierzulande gibt es immer mehr Selbst-Scan-Kassen; Kassiererinnen und Kassierer sagen auf Wiedersehen, genauer gesagt: Tschüss, denn dass sie ihre Arbeitsplätze wiederkriegen werden, ist höchst unwahrscheinlich. In wenigen Jahrzehnten wird das wie ein verhaltener, süßer Zwischenschritt wirken zwischen dem Supermarkt, wie wir ihn die letzten Jahrzehnte kannten, und einer völlig neuen Art der Nahrungsbeschaffung.
Die digitale Revolution wird nicht nur den Lebensmitteleinkauf verändern. Künstliche Intelligenzen werden das Essen revolutionieren. Wie das aussehen könnte, werde ich in den drei folgenden Szenarien veranschaulichen. (Falls dich das Thema interessiert, empfehle ich dir Leben 3.0: Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz von Max Tegmark.)
Szenario 1: Smartes Essen
Die Menschen im Jahr 2055 müssen sich keine Gedanken mehr um die optimale Ernährung machen. Die Menschheit hat erkannt, dass zieloptimierte Ernährung keine allgemein gültigen Diäten und Ernährungsformen erlaubt. Jeder Mensch ist anders. Und deshalb isst jeder Mensch, abgestimmt auf die individuellen Ziele, im Jahr 2055 anders. Wann, was und wo die Menschen essen, bestimmen digitale Assistenten. Damit sind uhrenähnliche Geräte gemeint, die über nicht spürbare Injektionen unseren Blutkreislauf überwachen.
Die digitalen Assistenten messen Insulinspiegel, Blutfettwerte, Vitamin- und Mineralstoffkonzentrationen und alle möglichen Hormone. Auf den aktuellen Körperzustand wird die Ernährung passgenau zugeschnitten. Je nach Zusammensetzung des Bluts und anderer Signale, die die digitalen Assistenten verarbeiten, wird der Nährstoff-Cocktail berechnet, der den körperlichen und geistigen Zielen des Individuums entspricht.
Abnehmen, Zunehmen, Diabetes-Typ-1-Ernährung, konzentrationsfördernde oder zum Muskelwachstum anregende Nahrung? Kein Problem für die digitalen Assistenten im Jahr 2055. Smartes Essen, Smart Food, ist Selbstoptimierung und Lebensmaximierung. Wie viel Kohlenhydrate, Fett, welche Fettsäuren in welchem Verhältnis, welche Proteine mit welcher Zusammensetzung der Aminosäuren – diese und viele weitere Entscheidungen werden den Menschen abgenommen.
Für ihre gesundheitlichen und geistigen Ziele sind die Menschen bereit einen Preis zu zahlen. Sie opfern Über-die-Stränge-schlagen für Rundum-Optimierung, tauschen gemeinsame Festessen gegen Individualitäts-Menüs. Die Menschheit im Jahr 2055 ist noch viel individueller, viel pluralistischer, als die heutige – und das zeigt sich auch am Esstisch.
Szenario 2: Nahrungsentzug
Künstliche Intelligenzen agieren losgelöst von den Absichten ihrer Programmierer. Niemand kennt die Ziele der Künstlichen Intelligenzen. Wie auch? Dafür reicht der Intellekt unserer Spezies nicht aus. Die Befürchtungen von Elon Musk wurden wahr. Die Künstliche Intelligenz sei viel gefährlicher als Atomwaffen, hatte Musk 2018 gewarnt. Seither sind 80 Jahre vergangen.
Menschen waren für Künstliche Intelligenzen eigentlich nie ein Problem. Doch auf dem Weg zu ihren (unbekannten) Zielen haben sie erkannt, dass wir mit Abstand die größten Ressourcenverschwender des Planeten sind. Weil die KI jedoch Ressourcen für ihre Zielerreichung braucht, müssen die Menschen weichen.
Ernten wurden manipuliert, Pandemien ausgelöst, die Menschheit geachtelt wie eine Pizza. Das letzte Stück Mensch lebt unter Nahrungsentzug in zooähnlichen Einrichtungen. Gegessen wird nur noch flüssig; Nährstofflösungen erschienen der Künstlichen Intelligenz als effizienteste Art der Ernährung unserer Spezies. Warum sollten sie auch noch mehr Ressourcen für uns verschwenden?
Szenario 3: Pizzaessen in der Virtuellen Realität
Die meiste Zeit verbringen Menschen in der Virtuellen Welt. Als die Mehrheit der Jobs von Maschinen übernommen wurde und ein Grundeinkommen die Grundbedürfnisse der Neuen Arbeitslosen sicherte, entschieden sich immer mehr Menschen für ein Leben in der Virtuellen Realität. Die Virtuelle Realität ist viel schöner, viel abwechslungsreicher, ja viel lebendiger als die triste Realität der Welt im Jahr 2045.
Die Menschen können sein, wer sie sein wollen, wann sie wollen, wo sie wollen. Es gibt keine Grenzen und das Beste: Die meisten Anwendungen sind gratis. Ähnlich wie die ersten digitalen sozialen Netzwerke MySpace, Facebook und Twitter finanzieren sich die Virtuellen Realitäten im Jahr 2045 über Werbeeinnahmen. Die Technologie zeigt den Nutzern nicht nur Werbung (z. B. am virtuellen Times Square), sondern erlaubt den Menschen in der Virtuellen Realität auch den Kauf von Produkten innerhalb der Virtuellen Welt.
Gezahlt wird wahlweise per Blockchain-Währung und, für die nostalgischen Nutzer, den Kontinentalwährungen US-Dollar, Euro, Oceanic-Dollar, Renminbi und Africa-Dollar. Dafür müssen die Nutzer nicht einmal die Virtuelle Realität verlassen.
Nehmen wir an, ein Nutzer will eine Pizza im virtuellen Rom essen. Während er sich mit Freunden im digitalen Pendant einer römisch Traditionspizzeria verabredet und in der Virtuellen Welt eine Pizza Vegetaria und ein Glas Rotwein bestellt, wird genau diese Bestellung an einen realen Lieferservice, der sich auf traditionell römische Pizza spezialisiert hat, weitergeleitet. Die Pizza wird per Drone geliefert, vom Roboter-Haushälter an der Wohnungstür in Empfang genommen und dem Nutzer serviert.
In der Virtuellen Realität wird währenddessen eine aufgehübschte Version der realen Welt gezeigt. Statt eines Roboter-Haushälters serviert ein teils grimmig, teils freundlich dreinschauender Italiener das Essen und es wird in geselliger Runde gegessen, obwohl jeder Nutzer der Virtuellen Realität alleine zu Hause sitzt.
Ernährung, Ernährungswirtschaft und Digitalisierung
Was wird die Rolle von Ernährungsberatern, Diätassistenten, Ernährungsmedizinern, Landwirten, Importeuren, Lohnherstellern, Supermarktangestellten, Filialleitern, Erntehelfern, Köchen und Kaffeehausbedienungen in einer weitgehend digitalisierten Welt sein? Welche Jobs werden zuerst verschwinden? Welche bleiben?
Die Ernährungsevolution – ein Rückblick
Führende Wissenschaftler, Experten und Philosophen sind sich einig: Berufe mit einem hohen sozialen Anteil werden länger von Menschen ausgeübt werden, als sich wiederholende, leicht zu ersetzende Tätigkeiten. Um zu diesem Schluss zu kommen, braucht man keine Glaskugel. Es reicht ein Blick in Bankfilialen, Fabriken, Supermärkte – und auf Acker.
Dass wir in 50 oder 100 Jahren noch so essen werden wie heute, ist höchst unwahrscheinlich. Es wäre dumm anzunehmen, dass sich unsere Ernährungsweise in den nächsten Jahrzehnten nicht grundlegend ändern würde. Dazu müssen wir bloß in die Vergangenheit schauen.
Jeder technologische Fortschritt hat die Ernährungsweise der Menschheit nachhaltig verändert. Angefangen mit dem Feuer, das den Energiegehalt pro 100 Gramm Nahrung erhöhte, zuvor unverdauliche oder gar giftige Lebensmittel genießbar machte. Dazu kamen Waffen, die es uns erlaubten systematisch auf die Jagd zu gehen. Weiter ging es mit der Haltbarmachung durch Fermentation, Salz, Räuchern und Kühlen. Der nächste große Schritt der Ernährungsevolution waren Supermärkte mit ihren Kühlabteilungen, Konserven und exotischen Speisen aus aller Welt.
All diese Stufen der Ernährungsevolution haben unsere Ernährungsweise verändert. Kein Paleo-Anhänger heute ernährt sich wie ein Mensch sich vor 10000 Jahren tatsächlich ernährt hat. Und kein Mensch im Jahr 2100 wird sich so ernähren, wie wir es heute tun.
Was wird die nächste Stufe der Ernährungsrevolution sein?
Meiner Meinung nach werden es zunächst Weiterentwicklungen in der Produktion und im Handel geben. Amazon Go, Lieferung per Drohne und der vollautomatisierte Gemüseanbau sind Vorboten eines neuen Zeitalters der Nahrungsbeschaffung.
Diesem Upgrade der Nahrungsbeschaffung wird eine Weiterentwicklung der Art, wie wir essen folgen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in den nächsten 100 Jahren Nahrung nicht mehr über den Mund aufnehmen, sondern per Injektion. Aber trotzdem werden Trends wie Convenience-Food und zieloptimiertem Smart Food sicherlich fortgeführt werden.
Jeder Trend bringt einen Gegentrend hervor. Und so erleben wir derzeit auch Phänomene wie Paleo, also die Rückbesinnung auf eine steinzeitliche Ernährungsweise, Craft Beer, Spirituosen-Manufakturen, kleinstädtische Kaffeeröstereien und dergleichen. Solche Entwicklungen machen den Blick in die Zukunft der Ernährung umso spannender, weil unvorhersehbarer.
Ausblick: Ernährung von Morgen
Am Ende des Tages weiß niemand, wie wir uns in 200 Jahren ernähren werden. Doch wir können – und sollten – uns bei solchen Zukunftsfragen einmischen. Die digitale Revolution geschieht nicht einfach nur. Sie wird gemacht. Und jeder einzelne von uns trägt seinen Teil dazu bei, wie die Welt in 10, 20, 50 und 100 Jahren aussehen wird.
Wir dürfen die Verantwortung für Fragen, die uns alle betreffen – und Ernährung betrifft uns alle, genauso wie Bildung, Berufe, Beziehungen, Gesundheit usw. – nicht an Digital-Konzerne und Politiker abgeben. Zwar ist es leichter über »die da oben« zu meckern, aber ist es auch zielführender? Bringt es uns weiter, wenn wir uns aufregen?
Wir müssen handeln. Dabei sollten wir bei uns anfangen, unser Verhalten hinterfragen und aktiv an einer Zukunft arbeiten, die wir uns und den nach uns Kommenden wünschen.
Wie denkst du über die Ernährung der Zukunft?
Bis bald
Jan
*Wir nutzen Affiliate-Links zu Amazon. Bei einem Kauf über diese Links kannst du unsere Arbeit ohne jegliche Mehrkosten unterstützen. Danke!
Schreibe einen Kommentar