»Was macht Kochen eigentlich mit unserer Nahrung?« Diese Frage wurde uns bei Instagram gestellt, woraufhin wir uns Gedanken dazu gemacht haben. Schließlich kochen wir täglich. Doch was hat es damit eigentlich auf sich? Warum haben unsere Vorfahren irgendwann angefangen, Nahrung zu erhitzen, wo es doch keine andere Affenart tut? Und was macht Kochen mit den Nährstoffen unserer Lebensmittel?
Mit Kochen meine ich übrigens jegliche Art der Zubereitung über 100°C – also auch Braten, Dünsten, Dämpfen, Backen und Co.
Warum kocht der Mensch?
Wie viele Tiere kennst du, die kochen? Und wie viele andere Primaten? Siehst du. Uns verbindet vieles mit unseren tierischen Verwandten, doch in der Art und Weise, wie wir essen unterscheiden wir uns grundlegend. Wir sind weder schnell, noch stark oder mit scharfen Zähnen ausgestattet. Aber wir sind klug, können (mehr oder weniger) effektiv kommunizieren, uns um Zukunft und Vergangenheit sorgen… und eben kochen.
Dass der Mensch kocht, wird von einigen Wissenschaftlern, allen voran Harvard-Professor Richard Wrangham, als Hauptgrund für die Evolution unserer Art angesehen. Auch wenn andere Tiere stärker und schneller sind – wir haben das Feuer gezähmt und gelernt, damit zu zaubern. Dadurch eröffneten sich unseren Vorfahren neue Möglichkeiten der Nährstoffaufnahme. Plötzlich waren Pflanzen genießbar, die es zuvor nicht waren. Mit dem Feuer wurde die Nährstoffaufnahme effizienter, es wurden potenzielle Krankheitserreger abgetötet und die Nahrung ließ sich leichter kauen. Kurzum: Das Feuer war ein Segen für die menschliche Evolution.
Auch Charles Darwin soll der Entdeckung des Feuers eine zentrale Rolle in der menschlichen Evolution zugesprochen haben: »Die Entdeckung des Feuers, wahrscheinlich die größte mit Ausnahme der Sprache, die je vom Menschen gemacht worden ist.«
Doch warum kochen wir eigentlich und seit wann?
Eine interessante Entdeckung von Richard Wrangham ist, dass es kein Naturvolk gibt, das sich nur von Rohkost ernährt. Die einzigen Menschen, die das tun, sind vergleichsweiche reiche Menschen in hochzivilisierten Gesellschaften. Ein Mensch, der vom Jagen und Sammeln lebt, kann es sich schlichtweg nicht leisten, nicht zu kochen.
Dass unsere Vorfahren erst »schlau« wurden und dann anfingen zu kochen, bezweifelt Wrangham übrigens. Schlüssig erklärt er, dass es andersrum war und begründet die Entwicklung des menschlichen Gehirns mit der Entdeckung des Feuers. Plausibel klingt es allemal: Mehr Energie durch gekochte Nahrung bedeutete mehr potenzielles Wachstum für unseren Denkapparat. Mehr Hirn bedeutete ausgeklügelteres Kochen, Jagen und Sammeln und so weiter.
Und es gibt noch einen wichtigen Grund, warum wir kochen. Unsere Verwandten – schauen wir uns die Schimpansen an – kauen den ganzen Tag vor sich hin. Es bleibt also recht wenig Zeit für große Erfindungen, Kreuzworträtsel und Kunst. Unsere Vorfahren hingegen profitierten schon vor vielen tausend Jahren von der Zeitersparnis, die das Kochen mit sich brachte.
Nährstoffe und Kochen
Gekochte Nahrung liefert im Vergleich zur rohköstlicher Nahrung mehr verwertbare Energie. Doch was für unsere Vorfahren ein großer Segen war, führt heute im Zusammenspiel mit Zucker- und Fettüberschuss zu Zivilisationskrankheiten. Und es ist auch der Grund, warum ich keinen Rohköstler kenne, der auch nur annähernd dick ist. (Das fanden übrigens auch diverse Studien heraus.) Die meisten von ihnen sind sogar sehr dünn.
Erklären kann man das damit, dass viele Pflanzen im rohen Zustand ein sehr stabiles Zellgewebe aufweisen, Anti-Nährstoffe in hohen Dosen enthalten (z.B. Phytinsäure) und bestimmte Nährstoffe (z.B. Beta-Carotin, Lycopin) erst durch das Erhitzen gut verwertbar gemacht werden. Nicht nur die Kalorienausbeute steigt durch das Kochen, sondern es wird zudem die Aufnahme wichtiger Stoffe verbessert. Und gleichzeitig werden Anti-Nährstoffe reduziert. Moment mal: Warum kochen wir dann nicht gleich alles?
Dafür gibt es aus ernährungsphysiologischer Sicht 3 Gründe:
- der Gehalt einiger Nährstoffe (z.B. Vitamin C) sinkt durch Erhitzung
- stabile, unverdauliche Zellwände (Ballaststoffe) sind wichtig für Gesundheit und Verdauung
- uns schmecken manche Lebensmittel roh einfach besser, was wichtig für die Freude am Essen ist
Weil Kochen für unsere Vorfahren enorm wichtig war und viele Vorzüge hat, heißt es noch lange nicht, dass es die einzig richtige Art der Zubereitung unserer Nahrung ist. (Selbst) Kochen macht Spaß, ist gesellig und gesund, aber auch rohe Nahrung hat ihre Vorzüge.
Fazit
Ich fasse zusammen:
- Manche Nährstoffe werden aus gekochter Nahrung besser aufgenommen
- Andere Nährstoffe hingegen sind sehr hitzeempfindlich
- Gehalt an Anti-Nährstoffen wird durch Erhitzen teilweise reduziert
- Energieausbeute ist bei gekochter Nahrung höher als bei roher
- Proteine werden denaturiert, was die Verdaulichkeit erhöht
- Zellgewebe wird aufgelockert, was die Verdaulichkeit erhöht
- Kochen spart »Kauzeit«, was wichtig für unsere Vorfahren war
- Erhitzen tötet potenzielle Krankheitserreger
Dass gekochte Nahrung »tot« und nur Rohkost wirklich gesund sei, ist Quatsch. Es ist ein netter Glaubenssatz, der sich für manchen Menschen in unserer hochentwickelten Gesellschaft interessant klingt. Aber mit der oft beschworenen Natürlichkeit hat Rohkost nichts zu tun. Doch Kochkost alleine ist auch nicht optimal. Schließlich haben wir gesehen, dass es Nährstoffe (v.a. Vitamine) gibt, die sehr hitzeempfindlich sind.
Deshalb ist eine Mischung aus Roh- und Kochkost für den Menschen die beste Wahl, um mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu werden. Auch bei der Zubereitung unserer Nahrung, gibt es nicht einen einzig richtigen Weg – wie sollte das auch möglich sein?
Bis bald,
Jan
Quellen
Carmody, R. N., & Wrangham, R. W. (2009). The energetic significance of cooking. Journal of Human Evolution, 57(4), 379-391.
Carmody, R. N., Weintraub, G. S., & Wrangham, R. W. (2011). Energetic consequences of thermal and nonthermal food processing. Proceedings of the National Academy of Sciences, 108(48), 19199-19203.
Habiba, R. A. (2002). Changes in anti-nutrients, protein solubility, digestibility, and HCl-extractability of ash and phosphorus in vegetable peas as affected by cooking methods. Food Chemistry, 77(2), 187-192.
Kataria, A., Chauhan, B. M., & Punia, D. (1990). Effect of domestic processing and cooking methods on the contents of carbohydrates of amphidiploids (black gram× Mung bean). Food chemistry, 36(1), 63-72.
Koebnick, C., Strassner, C., Hoffmann, I., & Leitzmann, C. (1999). Consequences of a long-term raw food diet on body weight and menstruation: results of a questionnaire survey. Annals of Nutrition and Metabolism, 43(2), 69-79.
Wrangham, R., & Conklin-Brittain, N. (2003). Cooking as a biological trait. Comparative Biochemistry and Physiology Part A: Molecular & Integrative Physiology, 136(1), 35-46.
Humans: The Cooking Ape, a lecture by Richard Wrangham [Video]
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Steffi
Hallo Jan,
vielen Dank für diesen gut recherchierten Beitrag!
Ich habe mir erlaubt zu dem Thema ein Video auf YouTube zu veröffentlichen (https://youtu.be/XPtCCEyXnD8) und habe diese Seite u.a. dort als Quelle mit verlinkt und dich im Video namentlich erwähnt.
Ich hoffe, das ist für dich so in Ordnung. 🙂
Liebe Grüße und nochmals danke für deine Arbeit!
Steffi
Jan Rein
Hi Steffi,
danke für den lieben Kommentar und klar, du kannst jederzeit Beiträge verlinken und dich darauf beziehen 🙂
Liebe Grüße
Jan
MartinF
Ergänzend: bei rohen Lebensmittel funktioniert unsere Somatische Intelligenz besser.
Soll heissen: wir essen nicht über den Sättigungspunkt hinaus.
Jan Rein
Für uns modernen Menschen interessant, aber in der Zeit als das Kochen entdeckt wurde, war gerade das ein wichtiger Punkt für die weitere (Hirn-)Entwicklung.