Über zwei Jahre traute ich mich kaum noch aus dem Haus. Schuld war der Reizdarm. Nach unzähligen Arztbesuchen und Untersuchungen, wurde ich mit dem Rat nach Hause geschickt, mich damit abzufinden. Doch das tat ich nicht.
Über 12 Millionen Menschen in Deutschland leiden Schätzungen zufolge am Reizdarmsyndrom. Ich war einer davon. Nach quälenden Jahren habe ich den Reizdarm endlich im Griff – und hier schreibe ich, wie ich es geschafft habe.
Was ist Reizdarm?
Das Reizdarmsyndrom betrifft vor allem den Verdauungstrakt. Tückisch am Reizdarm ist, dass die Ursachen nicht eindeutig geklärt sind. Folglich ist die erste wichtige Erkenntnis:
Reizdarm ist eine Ausschlussdiagnose.
Das heißt im Klartext: Der Arzt findet keine Anzeichen für eine chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und kann ähnliche Krankheitsbilder ausschließen. Im Idealfall werden organischen Ursachen ausgeschlossen.
Das Reizdarmsyndrom ist ein unklares Krankheitsbild, das in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegt.
Die Symptome können sich von Fall zu Fall unterscheiden. In der ICD-10 Klassifikation werden entsprechend der Symptome verschiedene Reizdarm-Formen unterschieden:
- Durchfall (Diarrhö-Typ)
- Verstopfung (Obstipation-Typ)
- gemischte Symptomen
- Reizdarmsyndrom ohne weitere Bezeichnung
Das heißt aber nicht, dass beim Diarrhö-Typ nur Durchfall auftritt. In der Regel treten beim Reizdarmsyndrom mehrere Symptome mit unterschiedlicher Intensität auf. Dazu gehören typischerweise:
- Blähungen und Flatulenz (häufiges Pupsen)
- Durchfall
- Verstopfung
- Bauchschmerzen
Fast immer berichten Betroffene nicht nur von Darm-spezifischen Beschwerden, sondern eine Reihe weiterer Krankheitsbilder. Sehr häufig treten Symptome auf, die nicht spezifisch auf den Verdauungstrakt bezogen sind. Das können sein:
- Abgeschlagenheit
- Depression
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Müdigkeit
- Hautprobleme
Wie entsteht ein Reizdarm?
Die Ursache des Reizdarmsyndroms ist unklar. Dabei hat sich in den letzten Jahren eine Erkenntnis gefestigt: Reizdarm hat mehrere Ursachen – und die Psyche scheint dabei eine wichtige Rolle zu spielen.
Folgende Ursachen werden häufig von Experten genannt:
- Gluten-Sensitivität
- Fehlbesiedlung des Dünndarms
- Immunreaktionen
- Psychische Faktoren
- Antibiotika
- Folge einer Magen-Darm-Grippe
Das heißt leider auch, dass ansonsten völlig gesunde Menschen plötzlich Verdauungsbeschwerden entwickeln können, die letztendlich als Reizdarm diagnostiziert werden.
Meine Erfahrungen mit dem Reizdarm
Es begann mit ein paar mehr Blähungen als sonst. Noch dachte ich mir nichts dabei. Ich hatte wohl nur etwas Schlechtes gegessen. Der Blähbauch würde bestimmt bald wieder weg sein, so wie schon tausende Male zuvor.
Doch dieses Mal war es anders. Auch nach einigen Tagen war mein Bauch ständig aufgebläht. Sogar morgens nach dem Aufstehen hatte ich Luft im Bauch. Aber noch immer dachte ich mir nichts dabei.
Spoiler: Es wurde nicht besser.
Einige Monate später. Inzwischen war ich verzweifelt, aß noch weniger als zuvor (ich war sehr schlank damals, essgestört und sportsüchtig). Ich wurde schwächer und schlanker und schwächer und depressiver. Das Haus zu verlassen wurde zur Qual.
Meine Verdauungsbeschwerden diktierten meinen Alltag. Ständig hatte ich Angst, meine Blähungen in der Öffentlichkeit nicht zurückhalten zu können. Ich brach mein damaliges Studium ab, zog mich immer weiter zurück, wurde depressiv.
Irgendwann, nach vielen Arztbesuchen, war Besserung in Sicht. Ich akzeptierte nicht, dass ich für immer damit leben sollte. Auf dem Weg der Besserung hatte ich einige Rückschläge hinnehmen müssen, aber mein Darm wurde ruhiger. Langsam, aber stetig.
In dieser Podcast-Episode spreche ich mit Laura im Detail über meine Reizdarm-Erfahrungen:
Auf Spurensuche nach den Ursachen
Im Nachhinein weiß ich, was bei mir zum Reizdarm geführt hat. Es waren mehrere Ursachen:
- Psychische Gründe
- Einseitige Ernährung
- Mangelernährung
Während ich akut daran litt, war mir das leider nicht bewusst. Doch das ist ganz normal, erst im Nachhinein verknüpfen wir Ursache und Wirkung.
Reizdarm Ernährung
Ich habe viele Dinge ausprobiert. Angefangen noch vor meinem Studium der Ökotrophologie, hatte ich wenig Ahnung von Ernährung. In meiner Verzweiflung testete ich alle möglichen Tipps, die ich finden konnte. Hier eine Auswahl:
- Trennkost
- Low FODMAP Diät
- Low Carb
- Rohkost
- Fasten
- Einläufe
- High Carb
- Ergänzung verschiedener Probiotika
- unzählige Tees
- verschiedene Mittel aus der Apotheke
Auch wenn Vieles nicht half, so habe ich zumindest einiges dabei gelernt. Erstens, dass viel Halbwissen im Internet verbreitet wird. Und zweitens, dass es nicht das eine Zaubermittel gegen Reizdarm gibt.
Ernährungstagebuch führen
Das Ernährungstagebuch hat mir geholfen, mich und meinen Darm besser zu verstehen. Deshalb ist das mein erster und wichtigster Tipp für die Ursachensuche. So könnte ein Ernährungstagebuch aussehen:
0 steht für neutral, + für gut und – für schlecht. In diesem vereinfachten Beispiel wäre das Croissant am Vormittag der Übeltäter.
Low FODMAP bei Reizdarm
Es gibt unzählige Listen dazu, was man beim Reizdarm essen soll und was nicht. Eine Strategie, die sich in Studien bewährt hat, nennt sich Low FODMAP Diät. FODMAP ist ein Akronym und steht für fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole.
Einfach ausgedrückt: fermentierbare Zucker und Alkohole meiden. Das sind:
- Fructose
- Lactose
- Fructane und GOS
- Sorbitol, Xylitol, Malitol und Mannitol
Erlaubte Lebensmittel bei der Low FODMAP Diät sind unter anderem:
- Ahornsirup
- Aubergine
- Ananas
- Blattsalate
- Cantaloupe Melone
- Erdnüsse
- Grüne Bohnen
- Haferflocken
- Karotten
- Kartoffeln
- Kiwi
- Kräuter und Gewürze
- Kürbis
- Kürbiskerne
- Mandelmilch
- Orange
- Quinoa
- Tempeh
- Trauben
- Walnüsse
- Zucchini
Schlechte Lebensmittel bei Reizdarm
Es gibt nicht die Lebensmittel, die du in jedem Fall meiden musst. Aber auch hier bietet die Low FODMAP Diät einen guten Anhaltspunkt, was du zumindest vorübergehend meiden solltest.
Und denk dran: Überprüfe dein Befinden mit dem Ernährungstagebuch!
Lebensmittel, die du u. a. bei Low FODMAP meiden sollst:
- Artischocken
- Äpfel
- Cashews
- Erbsen
- Hülsenfrüchte (bis auf wenige Ausnahmen)
- Kaugummi
- Kuhmilch
- Pflaumen
- Pistazien
- Pilze
- Spargel
- Wassermelone
- Weizen
- Zwiebel
Im Internet findest du tausende Lebensmittellisten für die Ernährung bei Reizdarm. Ich empfehle die Low FODMAP Liste von der Monash University.
Um Blähungen zu vermeiden, solltest du auch auf Strohhalme beim Trinken verzichten und über einen Kaffeeentzug bzw. eine generelle Koffein-Entwöhnung nachdenken. Kaffeeverzicht hat mir in der akuten Phase sehr geholfen.
Reizdarm – Was tun?
Die Ernährung ist das eine, und mit der Low FODMAP Diät und dem Ernährungstagebuch hast du zwei wichtige Tools im Kampf gegen den Reizdarm.
Es gibt aber noch einige Dinge mehr, die dir helfen können.
Psychische Gesundheit
Psyche, körperliche (organische) Gesundheit und im Speziellen die Darmgesundheit stehen in direktem Zusammenhang. Ich habe es oben schon geschrieben: Reizdarm und Depressionen, Angststörungen und andere psychische Leiden treten oft gleichzeitig auf.
Daher: Kümmere dich um deine seelische Gesundheit. Sprich offen mit deinem Arzt über das, was dich belastet und suche dir ggf. professionelle Hilfe. Das hat nichts mit Schwäche zu tun, ganz im Gegenteil!
Stuhluntersuchung
Die Bakterien in unserem Darm lassen sich zwar nicht direkt untersuchen, aber eine Stuhlprobe kann zumindest Hinweise auf ein Ungleichgewicht der Darmflora geben.
Bedenke bitte: Die Stuhlflora ist kein direktes Abbild der Darmflora!
Es gibt viele Anbieter für Stuhlproben; wir selbst haben mehrere über Ärzte und Heilpraktiker gemacht, aber auch selbst bezahlt.
(Werbung, unbezahlt) Letztere haben wir bei Verisana gemacht und wir haben dort einen 5 % Rabatt-Gutschein für unsere LeserInnen bekommen: SATTESACHE
Bewegung und Sport
Wenn du am Reizdarmsyndrom leidest, ist Sport oft unangenehm. Als ich akut am Reizdarm litt, war ich begeisterter Läufer. Wie du dir vorstellen kannst, war Laufen damals eine windige Angelegenheit …
Trotzdem kann Bewegung gegen den Reizdarm helfen – solange es nicht zu viel wird. Lange Spaziergänge, moderates Krafttraining und Schwimmen tun dir und deinem Darm gut.
Achte vor allem beim Sport auf eine kontrollierte Atmung, um nicht unnötig viel Luft zu verschlucken und dadurch noch mehr Blähungen hervorzurufen.
Medikamente
Ich habe wohl alle gängigen Medikamente getestet, die einem in der Apotheke beim Stichwort Reizdarm empfohlen werden. Ich will ganz ehrlich sein: Geholfen haben sie mir nicht.
Allerdings gibt es genug Menschen denen sie helfen, sonst wären die Arzneimittel nicht am Markt. Sprich mit deinem behandelnden Arzt (im besten Fall natürlich einem spezialisieren Gastroenterologen) und lass dich dahingehend beraten. Die Wahl des Arzneimittels hängt dabei stark vom Typ des Reizdarmsyndroms ab.
Trotzdem solltest du dich nicht auf ein Wundermittel verlassen. Mit der passenden Ernährungsweise, dem Ernährungstagebuch, der Arbeit an Psyche und Wohlbefinden, Bewegung und Sport wirst du den Reizdarm hoffentlich schon bald loswerden.
Und noch ein Tipp: Tausch dich mit anderen Betroffenen aus. Zum Beispiel über eine Selbsthilfegruppe für Reizdarm-Betroffene.
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